Tag 1: Mo. 4.7.
Frankfurt/M. -
Kangerlussuaq
Doch, doch, die Wecker meinen es ernst, 4:20 Uhr der erste, 4:21 Uhr der zweite. Aber das Wichtigste: Der Hotelier hat mir schon Frühstück gemacht! Es gibt zwar um diese Zeit keine Brötchen, aber davon geht man ja auch nicht aus. Toastbrot tut es auch.
Der Bahnhof ist nur 10 Minuten entfernt und der Flughafen von dort aus auch. Dieser ist im Übrigen der reinste Horror. Als ob ich noch nie geflogen wäre! Check-in nur noch am Automaten (oder per Handy oder Internet). Aber bevor man das weiß, ist man schon einmal um den ganzen Flugplatz gelaufen. Und zum Gate läuft man dann auch noch eine Viertelstunde.
Beim Flug nach Kopenhagen ging bis auf einen Reset der Bordelektronik beim Start alles klar. In Kopenhagen musste ich mir dann noch Dänische Kronen besorgen, wobei es schwer war einzuschätzen, wie viele man brauchen wird. Und dann lauern schon wieder überall diese Check-in-Automaten. Ob die auch für Air Greenland funktionieren? Aber sicher! Noch war ich alleine unterwegs. Treffpunkt der Gruppe war der westgrönländische Flughafen Kangerlussuaq. Die Größe der Gruppe und die Namen der Teilnehmer kannte ich zwar, und möglicherweise waren auch schon welche auf dem Flug nach Kopenhagen mit an Bord. Aber spätestens auf dem nun folgenden Flug müssten eigentlich alle dabei sein. Man schaut schon mal, wer in Frage kommt, aber theoretisch könnte es jeder sein. Neben mir saß im Flugzeug ein sehr nettes älteres dänisches Ehepaar, welches eine einwöchige Schiffsreise an der westgrönländischen Küste gebucht hatte, ungefähr auch unsere Route. Dass man allerdings in Grönland auch Zelten kann, konnten sie sich kaum vorstellen.
Auf der linken Flugzeugseite konnte ich leider Island nicht sehen. Aber dann kam der große Moment: Grönland! Erst von oben allerdings. Die Ostküste. Schroff und bergig, ganz anders als die Westküste. Und dann nur noch Wolken. Schade, nichts war mehr zu sehen. Aber halt, kurz vor der Westküste war im Eis auf einmal etwas zu erkennen, was wie eine Klimastation aussah. Es war also gar nicht wolkig, das Inlandeis ist einfach nur glatt und strukturlos und wirkt wir verwaschene Wolken. Dann begann das Gletschersystem, was den Eispanzer begrenzt. Überall kann man Tauwasserseen und -flussläufe erkennen. Spannend. Kurz nach 13:00 Uhr Ortszeit (UTC-3) setzt das Flugzeug zur Landung in Kangerlussuaq an. Der Ort war früher ein US-amerikanischer Armeestützpunkt. Auch heute sind die US-Amerikaner teilweise noch präsent. Der Flughafen war 1948/49 bei der Berlin-Blockade eine wichtige Zwischenstation.
Und nun bin ich hier! Ich setze den ersten Schritt auf die Insel. Ein eigenartiges Gefühl. Das erste Mal Nordamerika für mich, Grönland sowieso. Aber erwartungsgemäß passt etwas nicht. Die ganze Atmosphäre ist höchst ungrönländisch. Na klar. Hier, ca. 25 km vom Festlandeis entfernt, ist nur hügeliges Land mit wenig Vegetation. Eis ist keins zu sehen. Und die Temperaturen sind mit 17°C auch nicht das, was die meisten von Grönland erwarten. Da man sich auf die Reise vorbereitet hatte, wusste man das natürlich und war nicht überrascht. Kangerlussuaq liegt knapp 60 km nördlich des Polarkreises, am Ende des "langen Fjords". Die Dänen nennen ihn Søndre Strømfjord, auf Kalaallisut - also grönländisch - heißt er eben Kangerlussuaq. Die nicht besonders hübsche Stadt mit ca. 500 Einwohnern ist eine der wenigen Nichtküstenstädte der Insel. Das Klima ist hier sehr kontinental, da das Meer ca. 150 km entfernt ist. Warme Sommer (um die 20°C), eisige Winter (bis unter -50°C). An der Küste sind im Sommer durchschnittlich 10°C, im Süden geringfügig mehr, im Norden etwas weniger. Auf dem Inlandeis kann es im Winter auch schon mal -70°C kalt werden.
Da das Flughafengebäude nicht besonders groß ist, war es kein Problem Astrid, unsere Reiseleiterin, zu finden. Und auch die anderen 6 Gruppenmitglieder waren schon da. Hoffentlich wird es eine nette Truppe, sonst wird so ein Urlaub schnell zum Horror. Nicht, dass ich damit groß Erfahrung hätte, man hört es aber immer wieder. Auf den ersten Blick wirkten jedenfalls alle ziemlich nett. Nachdem wir das Gepäck in Empfang genommen hatten, zogen wir uns die Trekking-Sachen an, packten die Tagesrucksäcke und luden das Hauptgepäck, die Zelte und einige Versorgungssachen auf ein Auto. Nach einer kurzen Durchsprache und Planung begannen wir mit unserer ersten Wanderung. Ziel war ein Camp irgendwo zwischen Kangerlussuaq und dem Inlandeis. Der Begriff "Camp" ist zu diesem Zeitpunkt für alle noch ein sehr vager Begriff, der sich erst bei Ankunft in demselben mit Leben füllen wird. Zu Beginn der Wanderung musste ich mich allerdings erst von allen langärmligen Sachen befreien. Da auch kaum über 100 Höhenmeter zu laufen waren, war mit einer großen Abkühlung nicht zu rechnen. Man, war das heiß! Der Weg war staubig und führte meist durch das Sandflugtdalen (Sandflugtal). Das Tal wird von einem mächtigen Tauwasserstrom durchflossen.
Astrid erklärte eine Menge Sachen zum Thema Grönland. Hinter einem Wasserfall entdeckte ich den ersten Moschusochsen.
Davon gibt es hier eine ganze Menge. Sie sind (auch bei Touristen) ein beliebtes Jagdobjekt. Ansonsten besteht die Landschaft hauptsächlich aus kniehohen Weiden, von denen 4 Arten auf der Insel vorkommen. Gegen halb 7 nach ca. 14 km und 4 Stunden Wanderung umrundeten wir den letzten Hügel und sahen das Camp. Aha. So, so. Camp = Küchenzelt. Zu diesem Zeitpunkt. Das änderte sich natürlich schnell, nachdem wir unsere Zelte aufgebaut hatten. Das sah nun schon eher nach Camp aus. Das Auto hatte auch unsere restlichen Sachen hierher gefahren. Sanitäre Einrichtungen waren die Rückseite einer Sanddüne hinter dem Camp. Sozusagen der Schlüssel zum Klo war ein Spaten zum Vergraben der Exkremente. Und auch ein kleiner See zum Waschen und Wasser holen war ganz in der Nähe. In der letzten Stunde der Wanderung hatte die Vegetation zu- und der Wind abgenommen. Das bedeutet auf Grönland: Mücken! Steckmücken wie auch in Deutschland, nur scheinbar gefräßiger. Und Zahlloser. Tausende. Millionen. Irgendwo im Rucksack muss doch Mückentötolin drin sein, aber wo?
Für das Abendessen und zum Abwaschen wird Wasser benötigt. Ca 80 l werden wir brauchen. Also 8 Kanister geschnappt und ab zum See. Nun ergab es sich aber, dass der See sehr flach war. Man musste also halb ins Wasser rein, mit beiden Händen den Plastikkanister unter Wasser drücken und ungefähr 5 Minuten warten, bis er voll gelaufen war. Was hier wie eine unkomplizierte Tätigkeit klingt, entpuppte sich allerdings als eine der schlimmsten Tortouren. Denn es gab da diverse Lebewesen, die irgendwie geahnt hatten, dass ein unvollkommenes Wesen - wie ein Mensch nun mal einer ist - nur 2 Hände hat. Und die für diese Tätigkeit braucht. Und sich nicht wehren kann. Mücken. Schwärme. Milliarden. Unglaublich! Völlig wehrlos steht man da, zappelt, flucht, explodiert vor Wut. Und was machen diese Kreaturen? Lassen es sich gut gehen! Saugen, bis kein Tropfen Blut mehr in sie reinpasst. Rächen sich für die vielen erschlagenen Mücken in meinem ganzen Leben. Irgendwann reicht es. Der Kanister wird als voll definiert, hingestellt und dann: Jucken, jucken, kratzen. Und das waren noch nicht einmal 10 Liter...
Das hart erkämpfte Wasser wurde dann zusammen mit Trekkingnahrung zu Nudelsuppe verarbeitet und ergab eine sättigende Mahlzeit. Außerdem tranken wir Tee, Kaffee oder Kakao. Mittlerweile waren alle ziemlich müde. Die meisten waren schon zwischen 2 und 4 Uhr morgens aufgestanden. Dann die Zeitrückstellung von 5 Stunden, die Wanderung, das Klima. Trotzdem verbrachten wir noch eine ganze Weile im Küchenzelt, stellten uns vor und diskutierten über die ganze Welt. Man merkte schnell, dass wir 8 ziemlich gut zusammen passten und alle richtig nett waren.
Gegen halb 12 war dann Nachtruhe angesagt. Da ich bei der Hitze (es waren nachmittags dann 21°C geworden) ziemlich geschwitzt hatte, wollte ich mich noch waschen. Im See zu schwimmen war mir zu kalt. Was soll ich sagen. Der Mückenterror holte mich sofort wieder ein. Vorm See war weicher matschiger Boden, was das Anziehen erschwerte. Ich gab nochmals eine gute Blutmahlzeit ab und trollte mich dann genervt ins Zelt. Hier ging der Stress aber weiter. Manfred und ich hatten ein Dreimannzelt. Mit 2 großen Rucksäcken ist es dementsprechend eng und warm. Nun hatte ich mir extra einen Daunenschlafsack für die Reise gekauft. Ein Cumulus Panyam 600. Komforttemperatur bis -14 °C. Super Sack. Dummerweise hatten wir keine -14 sondern +14°C. Nach nicht mal 2 Minuten riss ich mir meine tolle neue Funktionsunterwäsche vom Leib. Wenig später wurde der Schlafsack aufgemacht. Kurz danach legte ich mich direkt auf die Isomatte und deckte mich mit dem Schlafsack nur noch zu. Die Sonne brennt die ganze Polarnacht gnadenlos aufs Zelt. Mittlerweile - wieder schwitzend (warum war ich überhaupt am See?) - machen sich Gedanken breit, wie: Was mach ich hier überhaupt? Warum habe ich das viele Geld bezahlt? Etwas Erleichterung bringt letztlich das Öffnen des Zeltes, sodass ein Lüftchen durchziehen kann. Und dann kommt irgendwann der Schlaf.
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